Der Deutschlandtakt – ein bundesweiter Taktfahrplan – ist inzwischen breiter politischer Konsens, um die Nachfrage der Eisenbahn in Deutschland zu verdoppeln und somit klimafreundliche Mobilität zu stärken. Doch wie er flächendeckende Realität werden kann, ist noch ungeklärt.
Wiederholt hat der Deutschlandtakt Eingang in Koalitionsverträge verschiedener Bundesregierungen erhalten. Doch alle derartigen Erklärungen werden nur Lippenbekenntnisse bleiben, wenn der Bund nicht eine konkrete Antwort auf die Frage „Wer fährt den Deutschlandtakt?“ gibt. KCW hat diese Frage beantwortet und in einem Gutachten für Bündnis 90/Die Grünen festgehalten.
Führt ein „Weiter so“ wirklich zum Ziel?
Bislang verweist die Bundesregierung darauf, am bestehenden Marktmodell und somit der Eigenwirtschaftlichkeit des Schienenpersonenfernverkehrs festhalten zu wollen. Diese Organisationsform hat in den vergangenen Jahren jedoch dazu geführt, dass viele Städte und Regionen Deutschlands vom Schienenpersonenfernverkehr regelrecht abgehängt wurden. Denn in diesem Bereich ist es unternehmerischen Opportunitäten von DB Fernverkehr und anderen Verkehrsunternehmen überlassen, wo sie fahren und halten – und wo nicht. Daher ist fraglich, ob ein flächendeckender Deutschlandtakt ohne Veränderungen am Marktmodell des Schienenpersonenfernverkehrs Realität werden kann. Dabei muss insbesondere das Spannungsverhältnis von politisch gewollten, verkehrlich erforderlichen, aber betriebswirtschaftlich nicht attraktiven Fernverkehrsverbindungen aufgelöst werden. Solange DB Fernverkehr und andere Verkehrsunternehmen formal eigenwirtschaftliche Verkehre anbieten (müssen), ist dieser Gegensatz nicht auflösbar.
Wer fährt den Deutschlandtakt? Drei mögliche Varianten
In einem Gutachten für die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zeigt KCW alternative Organisations- und Finanzierungsvarianten für einen flächendeckenden Deutschlandtakt auf, die sich von der heutigen Marktorganisation des Schienenpersonenfernverkehrs (SPFV) mehr oder weniger deutlich abgrenzen:
- Modifizierter Status quo: Fortführung der formalen Eigenwirtschaftlichkeit im SPFV („open access“), gleichwohl Einführung von Systemtrassen als Neuerung
- Systemtrassen mit Anreiz: Fortführung der formalen Eigenwirtschaftlichkeit im SPFV, aber mit der Vergabe von Systemtrassen ausschließlich in Bündeln sowie einer Umstellung der Trassenpreissystematik zur Anreizsetzung für nachfrageschwache Fernverkehrsrelationen
- Konzessionierter Fernverkehr: Einfügung eines Konzessionsmodells im SPFV (ggf. in mehrere Netze aufgeteilt). Eigenwirtschaftliche Verkehre bleiben aber weiterhin (zusätzlich) möglich, auch aus rechtlichen Gründen
Der Begriff „Systemtrasse“ meint hierbei vom Netzbetreiber vorkonstruierte Trassen, die einerseits der abgestimmten Vertaktung der Reisezüge im Nah- und Fernverkehr dienen und andererseits ausreichend Kapazitäten für den Güter- und Gelegenheitsverkehr bereitstellen.
Vergleicht man die Modelle in Hinblick auf die Zielvision eines flächendeckenden Deutschlandtaktes zeigt sich: Nur das Konzessionsmodell kann den Deutschlandtakt verbindlich und dauerhaft sicherstellen, weil der Bund hier Verkehre direkt konzessioniert und erforderlichenfalls auch bezuschusst.
In der Variante „Systemtrasse mit Anreizen“ besteht aufgrund der darin enthaltenen Trassenpreisabsenkung immerhin die Chance auf eine Angebotsausweitung unter Wahrung des vom Bund offenkundig favorisierten eigenwirtschaftlichen Grundmodells. Hierbei wird es maßgeblich darauf ankommen, welcher Anreiz über die Gestaltung der Trassenpreise sowie ggf. zu bildende Trassen(preis)bündel gesetzt werden kann. Der Status quo hat sich– selbst mit leichten Modifikationen – als nicht zielführend erwiesen.
Anpassung der Rahmenbedingungen erforderlich
Soll ein flächendeckender Deutschlandtakt Wirklichkeit werden, erscheint eine Anpassung von Rahmenbedingungen erforderlich. Schließlich wird der Erfolg des Deutschlandtaktes neben der betrieblich-infrastrukturellen Umsetzung, die der Bund derzeit im Fokus hat, insbesondere von der konzeptionellen Ausgestaltung des Ordnungsrahmens für die Eisenbahn sowie einer entsprechenden Finanzierung abhängen. Ohne Antworten hierauf bleiben die bisherigen Arbeiten des Bundes unvollständig, weil eine dauerhafte Verbindlichkeit fehlt – weder für Fahrgäste noch für Bund und Länder, und auch nicht für die Beschäftigten im Bahnsektor. Der Bund muss zu Fragen der Organisation und Finanzierung sowie zur Koordination der Daueraufgabe Deutschlandtakt Antworten geben. Bislang macht er hierum sprichwörtlich einen Bogen:
Gemeinwohlverpflichtungen müssen in Konzessionsverträgen konkretisiert werden
Das Gutachten unterstreicht die erforderliche Abkehr vom Status quo im Schienenpersonenfernverkehr: Das derzeitige eigenwirtschaftliche Marktmodell mit hohen Trassenpreisen ist nicht geeignet, einen flächendeckenden Deutschlandtakt zu realisieren. Und auch der politisch regelmäßig diskutierte Ansatz, diese offensichtliche Schwäche über eine Art Gemeinwohlverpflichtung der DB Fernverkehr AG heilen zu wollen, führt nicht zum Ziel. Ein solcher Weg würde die Situation eher noch diffuser gestalten als sie heute ohnehin ist: Ein einzelnes Unternehmen mit Gemeinwohlverpflichtungen zu betrauen, stellt einerseits einen Eingriff in die Marktorganisation dar und hat andererseits Auswirkungen auf die unternehmerischen Aktivitäten. Die DB dürfte dann noch vielmehr zum Spielball der Politik werden als sie es ohnehin schon ist.
Konzessionen im SPFV verpflichten die Unternehmen zur Leistungserbringung – aber auch den Bund zur Angebotsgestaltung
Will man eine effektive Gemeinwohlverpflichtung im Fernverkehr auf der Schiene haben, führt kein Weg an einem Konzessionsmodell vorbei. Die Gemeinwohlverpflichtungen sind dabei in den Konzessionsverträgen zu konkretisieren (Bedienhäufigkeit, Halteschema, Qualität des Angebots usw.). So sind sie für die Eisenbahnunternehmen dauerhaft und verlässlich kalkulierbar. Der Bund stünde dann selbst viel stärker als heute in der Pflicht, seine Ziele für das Angebot im Fernverkehr auf der Schiene zu definieren. Diese Positionierung als zentraler Akteur scheut er bisher. Der Deutschlandtakt wird als bundesweiter, flächendeckender Taktfahrplan aber nur funktionieren, wenn definierte Verkehrsangebote auch tatsächlich gefahren werden