Klimaneutralität auch im Verkehr nötig
Die Bundesregierung überarbeitete vor kurzem – aufgrund eines weithin Aufsehen erregenden Urteils des Bundesverfassungsgerichtes – das Klimaschutzgesetz. Klimaneutralität soll nunmehr bereits im Jahr 2045 erreicht sein.
Handlungsbedarf besteht vor allem im Verkehrsbereich, der im Jahr 2020 für fast ein Fünftel der Treibhausgasemissionen der Bundesrepublik verantwortlich ist. Daraus folgt zunächst die politisch unbestrittene Herausforderung, in möglichst kurzer Zeit die Antriebstechnologien im Verkehr auf emissionsfreie Technologien (Batterie- und Wasserstoffbetrieb) umzustellen. Allerdings wird für das Ziel der Klimaneutralität diese Antriebswende nicht reichen, ihr Strombedarf ist zu hoch: Im Rahmen eines Gutachtens für das Umweltbundesamt berechnete KCW, dass eine Eins-zu-eins-Umstellung des Pkw-Verkehrs auf batterieelektrische Fahrzeuge jährlich so viel Strom erfordert, wie 2019 Windstrom produziert wurde.
Ergo: Eine Versorgung des Verkehrssektors mit regenerativer Energie ist nur möglich, wenn ein effizienter Verkehr umgesetzt wird. Was bedeutet das?
Effizienz im Verkehr durch eine Mobilitätswende
Effizienz kann im Verkehr dann erreicht werden, wenn mit einer gegebenen Betriebsleistung möglichst viele Menschen befördert werden – oder umgekehrt die Beförderung einer angestrebten Personenzahl möglichst wenig Betriebsleistung erfordert. Das versteht man auch unter „Mobilitätswende“. Mit ihr richtet sich das Augenmerk auf Strategien der Verkehrsverlagerung: Die Verkehrsministerkonferenz hat im Februar 2021 den Beschluss gefasst, die Fahrgastzahlen im ÖPNV bis ins Jahr 2030 zu verdoppeln.
Die ÖPNV-Branche steht damit vor einer erheblichen Herausforderung. KCW hat in verschiedenen Beiträgen für Fachzeitschriften näher beleuchtet, was nötig ist, um ihr gerecht werden zu können. Die wesentlichen Erkenntnisse sollen hier vorgestellt werden.
Ziel: der arbeitsteilige Umweltverbund
Die meisten Menschen nutzen ihr Auto für kurze Strecken, 44 Prozent aller Fahrten sind kürzer als 5 Kilometer. Dieser Wert entspricht aber nur 7 Prozent aller im Auto zurückgelegten Kilometer. Grund: Es sind die mittleren und weiten Wege, die zwar nicht so zahlreich, dafür aber sehr lang sind, und deshalb den größten Anteil des Auto-Verkehrs ausmachen.
Für die Reduktion der Treibhausgase macht es deshalb einen Unterschied, auf welchen Wegen Menschen vom Auto auf den Umweltverbund umsteigen. In einem Beitrag für die Zeitschrift „PlanerIn“ haben Sylvie Grischkat und Axel Stein gemeinsam mit Alexander Mönch herausgearbeitet, dass die weiteren Wege für die Klimaziele eine überproportionale Bedeutung haben. 44 Prozent aller Kilometer, die mit dem Auto zurückgelegt werden, entfallen auf Langstreckenfahrten (Wege mit einer Länge von über 50 Kilometern). Die eher regionalen Wege zwischen 10 und 50 Kilometern haben einen ebenfalls hohen Anteil von 40 Prozent, die eher lokalen Wege zwischen 5 und 10 Kilometern einen von 9 Prozent.
Für die Mobilitätswende ergibt es Sinn, auf Verkehrsträger zu setzen, die in diesen verschiedenen Marktsegmenten ihre Stärken haben.
Rad- und Fußverkehr können dem Auto-Verkehr auf Distanzen von bis zu 5 oder 10 Kilometern nennenswerte Anteile abgewinnen.
Auf weiteren Strecken ist es aber nur der ÖPNV bzw. der Fernverkehr mit Bahn und Bus, der im Wettbewerb mit dem Auto Chancen hat. Da der größte Teil des Auto-Verkehrs (genauer: der Pkw-Verkehrsleistung) in diesen Marktsegmenten stattfindet, würde sich die ÖPNV-Branche „verkämpfen“, wenn sie ihre Ressourcen überwiegend auf den Kurzstreckenverkehr ausrichtete.
Anders formuliert: Es ergibt Sinn, dass die Verkehrsträger des Umweltverbunds arbeitsteilig organisiert und dabei ihre Stärken – Rad- und Fußverkehr auf Kurzstrecken, ÖPNV im Regionalverkehr, Schienenfernverkehr und Fernbusse auf den weiten Distanzen – eingebracht werden.
Unsere Autor/-innen folgern, dass es dazu einer grundlegenden Neuorientierung der Verkehrspolitik und -planung bedarf. Bisher fehlt es an einer Strategie, die alle Verkehrssysteme umfasst und vom Bund bis zu den Kommunen reicht. Die herauszuarbeitenden Ziele müssen gleichlaufend sein, um eine Parallelförderung zu vermeiden.
Eine Mobilitätswende allein in Großstädten wird nicht reichen
Bundesweit lebt nur ein knappes Drittel der Bevölkerung in Großstädten (Städte mit mindestens 100.000 Einwohner/-innen). Die seitens der Politik gewünschte bundesweite Verdopplung der Fahrgastzahlen kann durch diese Menschen allein nicht erreicht werden. Der Fokus muss also auch und vermehrt auf Städte und Gemeinden gerichtet werden, die sich „auf dem Land“ befinden. Die Bedingungen für den ÖPNV sind dort aber ausgesprochen unterschiedlich: Es gibt Dörfer und Städte unterschiedlicher Größe, gut ausgebaute ÖPNV-Achsen im Regionalverkehr und Regionen mit unattraktivem Busangebot. Die Aufgaben sind für die Verkehrsplanung entsprechend differenziert. Axel Stein hat in einem aktuellen Beitrag für die Zeitschrift „LandInForm“ näher beschrieben, welchen Handlungsfeldern im Zeichen der Mobilitätswende eine Bedeutung zukommt. Dazu zählen neben der klassischen Verkehrsplanung auch die Schulentwicklungsplanung und Siedlungsentwicklung.
Der öffentliche Verkehr bildet ein Netz für die Mobilitätswende
Der ÖPNV muss in einem arbeitsteiligen System seine Rolle finden. Unverzichtbar ist eine deutlich gesteigerte Attraktivität, Leistungsfähigkeit und Netzwirkung. Volker Eichmann, Dennis Günthel und Axel Stein arbeiten in einem Beitrag für die aktuelle Ausgabe der „RaumPlanung“ vier zentrale Herausforderungen heraus. So kommt es vor allem darauf an, Busse und Bahnen dort auszubauen, wo sie Effizienzvorteile haben – also leistungsfähig sind bzw. sein können. Immerhin reicht es für eine Verdopplung der Verkehrsleistung im öffentlichen Verkehr aus, nur jeden vierten Kilometer, der bisher im Auto gefahren wird, nunmehr mit Bus oder Bahn zurückzulegen. Diese Verkehrsmittel müssen sich zur Erreichung der Klimaziele also nicht dort „verausgaben“, wo sie im Wettbewerb mit dem Auto wenig Chancen haben.
Außerdem besteht in einer Zeit, in der ein großer Teil des Verkehrs über die Grenzen von Städten und Gemeinden hinausgeht, die Aufgabe für den ÖPNV darin, Städte und Regionen miteinander zu verbinden und zu vernetzen. Um Netzwirkung im Sinne einer bundesweiten Mobilitätssicherung für alle Teile der Bevölkerung und alle Regionen erreichen zu können, müssen auch jenseits solcher Hauptnetze Lösungen für die Flächenerschließung gefunden werden – womit der ÖPNV außerdem einen Beitrag zur Daseinsvorsorge leistet. Schließlich betonen unsere Autoren, wie wichtig Verlässlichkeit für Fahrgäste ist – entsprechend große Bedeutung kommt der Nutzung der Möglichkeiten zu, die die Digitalisierung für zuverlässige Fahrgastinformationen bereithält.
Guter ÖPNV braucht Zeit – hat aber nur wenig
Über Mobilitäts- oder Verkehrswende wird bereits seit mehreren Jahrzehnten diskutiert. Neu an der aktuellen Debatte ist besonders ihre Dringlichkeit. So haben die einschlägigen Gesetze und Beschlüsse eine recht deutliche Zeitvorgabe für die Zielerreichung. Entsprechend wichtig ist es, für das Zieljahr 2045 eine klare Vision auszuarbeiten und daraus gleichzeitig und aufeinander abgestimmt Mittelfristziele abzuleiten. Die in Angriff genommenen Maßnahmen müssen nicht nur wirksam, sondern auch rechtzeitig umsetzbar sein. Gerade Investitionen in größere Infrastrukturvorhaben, ohne die ein leistungsfähiger Ausbau des ÖPNV nicht vorstellbar ist, haben einen langen
Vorlauf.
Diese Zusammenhänge erläutert Axel Stein in einem aktuellen Themenheft der Zeitschrift „Forum Wohnen und Stadtentwicklung“. Dabei betont er die Wichtigkeit einer kontinuierlichen, integrierten Planung und macht deutlich, wie unerlässlich es ist, dass die Bevölkerung und die maßgeblichen Akteure zur Veränderung bereit sind. An einem Beispiel zeigt er, dass ein stringent aufgesetzter Planungs- und vor allem Partizipationsprozess diese Bereitschaft zum Wandel fördert und somit die Ziele schneller erreicht werden können.
Bibliografische Daten (Artikel stehen hier zum Download bereit, sofern sie online verfügbar sind):
- KCW GmbH: -Grundlagen für ein umweltorientiertes Recht der Personenbeförderung. Gutachten im Auftrag des Umweltbundesamtes, 2. Teilbericht des Forschungsvorhabens „Recht und Rechtsanwendung als Treiber oder Hemmnis gesellschaftlicher, ökologisch relevanter Innovationen – untersucht am Beispiel des Mobilitätsrechts“, TEXTE 213/2020, Dessau-Roßlau, 2020.
- Grischkat, Sylvie / Mönch, Alexander / Stein, Axel: Das räumliche Potenzial der Verkehrswende. In: Planerin, 2021, Heft 1, S. 59 - 61.
- Stein, Axel: Wie die Verkehrswende gelingen kann. In: LandInForm, 2021, Heft 2, S. 40-41.
- Eichmann, Volker / Günthel, Dennis / Stein, Axel: Ein Netz für die Verkehrswende. In: RaumPlanung, 2021, Heft 3-4, S. 72-78. (nicht online verfügbar)
- Stein, Axel: Zeit für die Verkehrswende. In: Forum Wohnen und Stadtentwicklung, 2021, Heft 3, S. 115-119.