Mitte Februar 2019 wurden Eckpunkte des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) zur Reform des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) publik. Das Ministerium greift damit Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag auf und stellt sich einer schwierigen Aufgabe: Der „Modernisierung des PBefG unter dem Stichwort Digitalisierung“ (so der Titel der BMVI-Eckpunkte). Im Wesentlichen geht es darum, ob, wie und in welchem Umfang App-basierte Fahrdienste, die heute nach PBefG nicht regulär genehmigt werden können, künftig gesetzlich zulässig sein sollen. Das BMVI setzt vor allem auf eine Deregulierung der Beförderung im Mietwagenverkehr. Einfache Lösungen drängen sich allerdings nicht auf. Das zeigt unter anderem der prompte und öffentlichkeitswirksame Widerstand – insbesondere des Taxigewerbes, das sich durch die Reformansätze in seiner Existenz bedroht sieht.
Worum geht es und was sind App-basierte Fahrdienste?
Was wir hier als „App-basierte Fahrdienste“ bezeichnen, hat in seiner kurzen Historie bereits zahlreiche Namen erhalten. Um nur einige zu nennen: „On-Demand-Verkehre“, „Ridepooling“, „Ridehailing“ oder „Ridesharing“. Hinter diesen Begriffen, die teils synonym verwendet werden, verbergen sich teils sehr unterschiedliche Geschäftsmodelle. Nimmt man etwa den Begriff „Ridesharing“ wörtlich, so wäre dies nicht einmal ein Geschäftsmodell, sondern eine privat veranlasste Mitfahrgelegenheit. Im Einzelfall empfiehlt es sich daher immer, zu fragen, worum es genau geht, wenn von „On-Demand-Verkehr“, „Ridepooling“ usw. gesprochen wird.
Wesentliche Merkmale der gewerblich ausgerichteten App-basierten Fahrdienste sind aus unserer Sicht:
- per Smartphone-App werden Fahrdienste direkt an Kunden vermittelt
- der App-Anbieter bzw. Plattform-Betreiber setzt wesentliche Bedingungen zur Ausgestaltung der Fahrdienste
- es werden taxiähnliche Fahrdienste mit eigenen Fahrzeugflotten des Betreibers oder mit über die Plattform organisierten (privaten) Fahrzeugen erbracht
- neben einer Tür-zu-Tür-Bedienung kommen sogenannte „virtuelle Haltestellen“ zum Einsatz
- teilweise erfolgt eine Bündelung („Pooling“) separater, ähnlich gelagerter Fahrtwünsche
Warum ist die „Modernisierung des PBefG unter dem Stichwort Digitalisierung“ eine schwierige Aufgabe?
App-basierte Fahrdienste sind im aktuellen deutschen Rechtsrahmen nicht oder nur im Ausnahmefall und bei Erprobungen nur für eine begrenzte Frist genehmigungsfähig. Aus Sicht der Anbieter und Unterstützer dieser Angebote ist deshalb dringend eine Modernisierung des PBefG erforderlich. Grundgesetzlich gestärkt wird diese Position durch die – nur aufgrund von Gemeinwohlinteressen begrenzbare – Berufs- und Gewerbefreiheit. Gleichzeitig ist das Potenzial App-basierter Fahrdienste für eine nachhaltige und umweltorientierte Verkehrspolitik schwer abzuschätzen. Positive Effekte für Klima und Umwelt zeichnen sich bislang nicht ab. Zu erwarten sind allerdings – und das vor allem in verkehrlich bereits hoch beanspruchten Innenstädten – eine Erhöhung des Verkehrsaufwandes, Konkurrenz zum ÖPNV und weitere tendenziell negativ zu bewertende Effekte.
Den Gesetzgeber trifft eine hohe gesamtgesellschaftliche und rechtlich verbindliche Verantwortung – mit Blick auf Klimaschutz, Umweltschutz und Gesundheitsschutz, auf die Mobilitätssicherung der Bevölkerung, die Verkehrssicherheit, die Effizienz des Verkehrssystems und den Erhalt bzw. die Schaffung lebenswerter Räume für vielfältige Nutzungsinteressen.
Angesichts der Chancen und Risiken sowie der nur schwer prognostizierbaren künftigen Geschäftsmodelle sollte die Zulassung App-basierter Fahrdienste mit Augenmaß erfolgen.
Was möchte KCW zur Diskussion beitragen?
KCW begutachtet derzeit im Auftrag des Umweltbundesamts die „Grundlagen für ein umweltorientiertes Recht der Personenbeförderung“ (Ressortforschungsplan des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Forschungskennzahl 3717 17 105 0). In diesem Rahmen hat KCW aus aktuellem Anlass ein Kurzgutachten erstellt, das den Bearbeitungsstand zur Thematik der Zulassung App-basierter Fahrdienste zusammenfasst und sich als Beitrag zur Diskussion um eine sachgerechte Anpassung des PBefG versteht (Bearbeitungsstand 30. April 2019).
In unserem Kurzgutachten stellen wir die für den Gesetzgeber verbindlich zu beachtenden übergreifende Ziele und Schutzgüter kontextbezogen dar. Bislang vorliegende Erfahrungen mit verkehrlichen Auswirkungen App-basierter Fahrdienste dienen als Basis für eine erste Einschätzung der Chancen und Risiken, die mit der gesetzlichen Zulassung in Deutschland einhergehen würden.
Vor diesem Hintergrund entwickeln wir Novellierungsansätze, die sich im Kern mit folgenden Themen beschäftigen:
- sinnvolles Abschichten von förderlichen und (mit Blick insbesondere auf Klima- und Umweltschutz) schädlichen Geschäftsmodellen und eine darauf aufsetzende gesetzliche Steuerung im PBefG
- im PBefG wirksam verankerte kommunale Regulierung in Bezug auf lokale Rahmenbedingungen
- Entwicklung regulatorischer Ansätze, die die Digitalisierung der Verkehrsangebote nutzbar machen und an die Plattformen anknüpfen
Ceterum censeo: Verkehrspolitische Prioritäten für den Klimaschutz im Verkehr
Es ist zwingend, dass die beabsichtigte Novellierung des PBefG klimaschützend wirkt. Bei aller aktuell auf die App-Fahrdienste gerichteten politischen Aufmerksamkeit darf aber nicht aus den Blick geraten, dass es in Bezug auf den Klimaschutz im Verkehr wesentlich gewichtigere Themen gibt:
- Mit welcher Strategie und welchen Maßnahmen kann der Anteil des Fuß- und Radverkehrs in den nächsten zehn Jahren massiv gesteigert werden?
- Mit welcher Strategie und welchen Maßnahmen gelingt bis 2030 die Verdoppelung der Fahrgastzahlen im Bahnverkehr und im ÖPNV?
- Mit welcher Strategie und welchen Maßnahmen wird der Gütertransport auf die Bahn verlagert und wie gelingt eine massive Verminderung von Emissionen im motorisierten Straßenverkehr?
Hinweis: Das kürzlich ergangene Urteil des BVerwG vom 08.05.2019 - 10 C 1.19 - (siehe dazu die Pressemitteilung des BVerwG vom selben Tag) betrifft einen Teilaspekt unserer rechtlichen Begutachtung. Thematisch geht es um die Abgrenzung, wann Beförderungen mit einem Pkw in den Anwendungsbereich des PBefG fallen – und wann nicht. Aus unserer Sicht sollten gewerbliche Angebote immer vom Verkehrsgewerberecht erfasst werden und sich nicht auf eine gesetzliche Ausnahme berufen können, die für privat veranlasste Beförderungen gedacht ist. Es ist denkbar, dass die noch nicht vorliegende Urteilsbegründung unsere Forderung bereits auf Grundlage des geltenden Rechts stärkt.
Bitte: Mit der Thematik bewegen wir uns auf einem sehr dynamischen Gebiet. Wir freuen uns, wenn Sie uns Ihre Hinweise, Anmerkungen und Überlegungen mitteilen an info@kcw-online.de. Ihre Mitteilungen bis zum 30. Juli 2019 versuchen wir in unserem Gesamtgutachten im oben erwähnten Forschungsprojekt zu berücksichtigen.