Personalmangel im kommunalen ÖPNV

Personalmangel im kommunalen ÖPNV

Kurzstudie Personalbedarf bis 2030/35

Ausgangslage
Immer häufiger sieht man im ÖPNV die Meldung: "Fahrt fällt aus, Grund: Personalmangel." Manche Verkehrsunternehmen dünnen ihre Fahrpläne aufgrund der angespannten Lage beim Fahrpersonal bereits aus. Daher haben die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und die Klima-Allianz Deutschland KCW beauftragt, eine Kurzstudie zum Personalbedarf bis 2030/35 durchzuführen, auch vor dem Hintergrund, dass Bund und Länder die Fahrgastzahlen im ÖPNV bis 2030 gegenüber 2019 verdoppeln wollen.

Status quo
Die Studie betrachtet den Bedarf bei Bus, Straßenbahn und U-Bahn, nicht aber den Eisenbahnverkehr. Wie viele Fahrerinnen und Fahrer gibt es hier aktuell eigentlich? Hierzu gibt es keine bundesweite Statistik. KCW hat ermittelt: In Deutschland sind ca. 122.500 bis 132.000 Bus- und Straßenbahnfahrer:innen (inkl. Stadt-/U-Bahnen) im kommunalen ÖPNV sozialversicherungspflichtig beschäftigt (Stand 2022).

Demographie
Eine zentrale Herausforderung, die den Personalmangel in den nächsten Jahren verschärfen wird, ist die Demographie in den Verkehrsbetrieben (vgl. Abbildung). Im Jahr 2022 lag das durchschnittliche Renteneintrittsalter (Altersrente) in Deutschland bei 64,38 Jahren. Aufgrund der körperlich beanspruchenden Arbeit (Schichtdienst, langes Sitzen) liegt der Wert im Fahrdienst wohl niedriger. Bis 2030 werden rund 30 % und bis 2035 knapp 50 % der Fahrdienstbeschäftigten altersbedingt ausscheiden. Hinzu kommt die Fluktuation aus anderen Gründen, wie ein Berufswechsel, Fahrdienstuntauglichkeit, Wegzug ins Ausland, usw..

Altersverteilung 2022 Fahrdienst Bus und Straßenbahn

Quelle: Statistik der Bundesagentur für Arbeit 2024 (Auftragsnummer: 351936), eigene Berechnung

Arbeitsbedingungen
Um genügend Personal zu finden, sieht es die Gewerkschaft ver.di als zentralen Hebel an, die Arbeitsbedingungen attraktiver zu machen. Die Arbeitnehmenden sind in der Regel zu Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Schicht- und Wechselschichtarbeit, zu Rufbereitschaft, Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst zusätzlich zur Arbeitszeit, Überstunden und Mehrarbeit verpflichtet. Zu den Kernforderungen von ver.di gehören neben einer Begrenzung sogenannter „geteilter Dienste“ auch Entlastungselemente wie zusätzliche freie Tage für Schicht- und Nachtarbeit oder eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit.
Im Rahmen der Kurzstudie hat KCW die Auswirkungen einer Verkürzung der Arbeitszeit sowie zusätzliche Entlastungstage untersucht.

Ergebnisse
Inklusive der Fluktuation aus weiteren Gründen werden knapp 50 % des Bestandspersonals (2022) den Fahrdienst bis 2030 verlassen. Bis 2035 sind es fast 70 %. Allein zur Aufrechterhaltung des aktuellen Verkehrsangebotes im ÖPNV besteht bei unveränderten Arbeitsbedingungen der Bedarf, 60.500 bis 65.500 Stellen bis 2030 neu zu besetzen.

Darüber hinaus haben Bund und Länder in der Verkehrsministerkonferenz einvernehmlich als Ziel beschlossen, die Fahrgastzahlen bis 2030 gegenüber 2019 zu verdoppeln. Für das Angebot, mit dem doppelt so viele Fahrgäste befördert werden können, sind 68 % mehr Fahrerinnen und Fahrer als in 2022 zusätzlich notwendig. Bei unveränderten Arbeitsbedingungen entspricht dies 85.000 bis 91.500 neuen Stellen.

Zusammengerechnet sind für das Verdopplungsziel bis 2030 etwa 150.000 Fahrdienststellen neu zu besetzen. Bei einer Verkürzung der Wochenarbeitszeit und mehr Urlaubstagen wird der ÖPNV einerseits mehr Personal benötigen, andererseits ist eine geringere Fluktuation zu erwarten. In allen Zahlen ist jeweils nur eine einmalige Neubesetzung berechnet. Der tatsächliche Bedarf kann damit sogar noch größer ausfallen.

Fazit
Allen Akteurinnen und Akteuren in der Politik und der ÖPNV-Branche ist angesichts der Dimensionen zu empfehlen, diese Herausforderung ernst zu nehmen, die notwendigen Schritte voranzutreiben und wirkungsvolle Maßnahmen bei den Arbeitsbedingungen voranzubringen, die das Berufsbild der Fahrerin bzw. des Fahrers attraktiver machen. Die ÖPNV-Branche benötigt zwingend finanzielle Planungssicherheit. Nur so kann sie die notwendigen Schritte einleiten, nur so können die Kommunen die Angebote erhalten, ausweiten und die Unternehmen die hierfür benötigten Fahrerinnen und Fahrer einstellen.

Gelingt es nicht, die nötigen Fachkräfte zu gewinnen, drohen in Deutschland Einschränkungen und Ausfälle im ÖPNV weit über den heute schon sichtbaren Umfang hinaus.