Wie umgehen mit lückenhafter Mobilität auf dem Land?
Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft – ganz besonders gilt dies im ländlichen Raum. So ist die Attraktivität des Landlebens besonders für Familien ein wichtiges Anliegen. Und ortsansässige Wirtschaftsunternehmen haben ein großes Interesse daran, dass Jugendliche auch nach Beendigung ihrer Schulkarriere vor Ort bleiben und Beschäftigung suchen. Was aber bedeutet es, wenn die öffentlich organisierte Mobilität Lücken aufweist?
Mobilitätsbefragung an einem Gymnasium und einer berufsbildenden Schule im Vogelsbergkreis
Antworten auf diese Frage geben Axel Stein und Martje Petersen von KCW gemeinsam mit Martin Albrecht (GGR) in einem aktuellen Artikel des Nahverkehrs. Sie werten dort eine Mobilitätsbefragung aus, die vor einem Jahr im hessischen Vogelsbergkreis durchgeführt wurde. Über 1.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die an einem Gymnasium und einer berufsbildenden Schule ausgebildet werden, gaben Auskunft darüber, wie sie ihre Mobilität organisieren und wie sie sie bewerten. Den Rahmen für diese Befragung bildete ein Modellvorhaben des Bundesverkehrsministeriums.
Auf dem Land sind viele Menschen auf den ÖPNV und/oder die Eltern angewiesen
Die Mobilitätsbedingungen im Kreis sind nicht einfach: Der Kreis ist relativ dünn besiedelt (73 Einwohner wohnen auf einem Quadratkilometer), die Bevölkerung recht Auto-affin (auf 1000 Einwohner kommen 645 Autos), und das ÖPNV-Angebot an den Abenden und am Wochenende ist ausgedünnt sowie wochentags spürbar abhängig vom Schülerverkehr. Dennoch besitzt ein beträchtlicher Teil der Schülerschaft ab 17 Jahren keinen Führerschein (30 Prozent der Berufsschüler, 16 Prozent der Gymnasiasten) – und wenn doch, haben nicht alle davon Zugriff auf ein Auto.
Entsprechend abhängig sind die meisten Schülerinnen und Schüler davon, dass es im ÖPNV oder auf andere Art und Weise Alternativen der Fortbewegung gibt. Kinder und Jugendliche jeden untersuchten Alters (auch bereits ab der fünften Jahrgangsstufe) wählen dabei aus dem breiten Spektrum an Mobilitätsoptionen verschiedene aus. Nur die wenigsten unter ihnen sind praktisch auf ein Verkehrsmittel festgelegt.
Besonders hohe Bedeutung kommt neben dem ÖPNV dem „Elterntaxi“ zu: Nicht nur in jungen Jahren, sondern auch im Erwachsenenalter spielen die Chauffeurdienste der Eltern eine große Rolle. Die Belastung, die die Organisation des Elterntaxis für alle Beteiligten bedeuten kann, wird jedoch eher von den Eltern wahrgenommen als von ihren Kindern. Dafür stört Schülerinnen und Schüler die Wartezeit vor bzw. nach der Schule in besonderem Maß.
Handlungsansätze: Integration des Themas „Mobilität“ in den Unterricht, Organisation von Fahrgemeinschaften, Optimierung des ÖPNV
Die Ergebnisse der Befragung wurden im Vogelsbergkreis in verschiedenen Workshops mit Kindern und Jugendlichen, mit Lehrkräften und ÖPNV-Experten diskutiert. Sie haben dazu geführt, dass das Thema „Mobilität“ Eingang in die Unterrichtsinhalte erfuhr und im Rahmen von Projektwochen und Planspielen an beiden beteiligten Schulen auch nach Abschluss des Modellvorhabens behandelt wird. An diesen und zwei weiteren Schulen wird es eine Mobilitäts-App mit dem mehrdeutigen Titel „Fairschult“ geben, die die Bildung von Fahrgemeinschaften erleichtert.
Unabhängig von diesen konkreten Handlungsansätzen bleiben die ÖPNV-Verantwortlichen aufgefordert, nach Lösungen zu suchen, die den ÖPNV auch und gerade für junge Menschen attraktiv machen. Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrkräfte können – dies hat die Befragung gezeigt – dabei eingebunden werden.
Den Artikel haben wir für Sie als Download bereit gestellt.
Stein, Axel / Petersen, Martje / Albrecht, Martin: Mobilitätsentscheidungen von Jugendlichen und Kindern auf dem Land. In: Der Nahverkehr, 36. Jahrgang, 2018, Heft 10, S. 49-55.