KCW hat am 21.11.2017 auf der ersten Hypermotion, der neuen Plattform für die digitale Transformation von Verkehr, Mobilität und Logistik in Frankfurt, die Konferenz „Forum Public Mobility: Digital Challenges“ veranstaltet. Die Vielfalt an Akteuren unter den rund 80 Teilnehmer/-innen unserer Fachtagung ermöglichte spannende Beiträge und Diskussionen. Generell erhielt die nun jährlich stattfindende Hypermotion als neuer Veranstaltungsmix aus Ausstellung, Tech-Talks und Konferenzen und großen Zuspruch.
Neue Mobilitätsangebote: Chancen und Herausforderungen
Nach einer kurzen Einführung von KCW-Geschäftsführer Dr. Henning Tegner startete die erste inhaltliche Session des Forum Public Mobility zu neuen Mobilitätsangeboten moderiert von VCD-Geschäftsführerin Carolin Ritter. Angesichts der rasanten Entwicklung der Digitalisierung und neuer Wettbewerber im Mobilitätsmarkt entzündet sich derzeit eine Diskussion um den Rechtsrahmen, die Dr. Jan Werner (KCW) juristisch wie verkehrlich diskutierte und darauf einging, wie das Personenbeförderungsgesetz heute wirkt und morgen wirken sollte. In ihrem Vortrag zu Lobbying 2.0 zeigte Paula Ruoff (KCW) die Macht digitaler Firmen auf, zu denen auch neue Mobilitätsanbieter gehören, indem sie ihre Kunden für ihre Zwecke auch politisch mobilisieren. Die Diskussion führte von Fragen der notwendigen Verbesserung und Weiterentwicklung des ÖPNV, über Fahrgastorientierung hin zu Deregulierungsfragen des Mobilitätsmarktes in Deutschland.
Digitaler Vertrieb: Inspirationen
In der zweiten Session mit dem Titel „Digitaler Vertrieb: Inspirationen“ zeigte Dr. Gian-Mattia Schucan (FAIRTIQ) wie ein privater Vertriebsdienstleister sehr erfolgreich das erste schweizweite smartphonebasierte CheckinBeout-System etabliert. Britta Salzmann (DB Vertrieb) stellte die aktuellen Innovationsprojekte der DB vor und machte deutlich, dass die DB nun im Bereich digitaler Vertrieb sehr massiv auf Kooperation mit den Verkehrsverbünden setzt. Gerd Probst (Probst & Consorten Marketing-Beratung) fokussierte sich auf die Frage, welchen Mehrwert der digitale Vertrieb und damit verbunden auch neue eTarife für Verkehrsverbünde und Verkehrsunternehmen haben können. In der Diskussion wurde deutlich, dass die Branche damit rechnet, dass es in Deutschland auch zukünftig eine Vielzahl von unterschiedlichen digitalen Vertriebsanbietern/-lösungen geben wird. Die Offenheit für eine Zusammenarbeit über Unternehmensgrenzen hinweg wurde aber auch deutlich.
Big Data - wohin führt uns die Vernetzung?
Unter dem Titel „Big Data - wohin führt uns die Vernetzung?“ erörterten Ralf Nachbar (rms), Stephan Hörold (VRR) und Pascal Prassol (SAP) die Potenziale des Austauschs und der Vernetzung von ÖV-bezogenen und weiteren Daten z.B. aus und für Fahrgastinformation, Vertrieb, Betrieb und Planung, sei es im Rahmen der Vernetzungsinitiative Mobility Inside, innerhalb des VRR, oder in „Smart Cities“. Die Datenquellen werden vielfältiger, die Volumina wachsen schnell, aber die wirklichen Mehrwerte einer verknüpften Auswertung müssen erst noch herausgearbeitet werden. Auch mit Blick auf andere Branchen zeigte sich, dass eine sinnvolle Datenintegration eine komplexe Aufgabe bei begrenztem Budget ist, für die weitere Herausforderungen wie Datenqualität, Datenschutz und IT-Sicherheit beachtet werden müssen. Einig waren sich alle darin, dass es dafür Kooperationen braucht und dafür auch eine Offenheit besteht.
Abschlussdiskussion
Die Abschlussdiskussion fand mit der aktiven Beteiligungsmethode „Fishbowl“ statt. In der Eingangsrunde diskutierten geladene Experten über das Spannungsfeld von Regulierung versus Öffnung im ÖPNV-Vertrieb. Zu diesen gehörten Christian Hochfeld (Agora Verkehrswende), Dr. Gian-Mattia Schucan (FAIRTIQ), Gerd Probst (Probst & Consorten Marketing-Beratung) und Burkhard Horn (Mobilität und Verkehr - Strategie und Planung). Im Anschluss daran beteiligten sich zahlreiche Teilnehmer/-innen an der Fishbowl-Diskussion. In dieser benannten die Teilnehmenden sowohl die Chancen einer sich abzeichnenden Öffnung des Vertriebs für Dritte als auch die Risiken dieser Entwicklung. Weitgehend Einigkeit bestand darin, dass eine sinnvolle Öffnung des Vertriebsmarktes im ÖV ein Mindestmaß an Regulierung erfordert.
Pressestimme
So berichtete der NaNa-Brief Nr. 50-52/17, S. 3-4, von der KCW-Veranstaltung auf der Hypermotion. Weitere Informationen zum NaNa-Brief erhalten Sie hier.
KCW plädiert für gestufte Freigabe neuer Mobilitätsformen – „Experimentierklausel im PBefG genügt nicht.“
Auch auf der neuen Messe Hypermotion in Frankfurt war das PBefG Thema: Wo die neuen Angebote in den ÖPNV integriert sind, sollten sie durch eine PBefG-Novelle ohne Beschränkungen erlaubt werden, meint Jan Werner, Geschäftsführer der Strategie- und Managementberatung KCW. Außerhalb jedoch müssten sie von den Städten reguliert werden können, um „Rosinenpickerei“ zum Nachteil der Daseinsvorsorge zu verhindern. Werner sieht die Grenzen zwischen den Verkehrsformen im PBefG verschwimmen, gleichzeitig aber die neuen Mobilitätsformen darin noch nicht abgedeckt. Zwar ermögliche das PBefG, typengemischte Verkehre nach der ähnlichsten Verkehrsart zu genehmigen. Diese dürfe aber nicht dazu führen, dass neue App-gestützte Sammelverkehre den ÖPNV oder den Taxiverkehr gefährden. Es gelte das Abstandsgebot. Nach heutiger Gesetzeslage sei Pooling daher außerhalb des ÖPNV verboten. Allenfalls könne es, zeitlich begrenzt, im Rahmen von Experimentierklauseln stattfinden. Oder indem die Anbieter ein nicht reguliertes „privates Pooling“ anbieten und damit unter dem PBefG-Radar bleiben. Ähnlich den Mitfahrgemeinschaften dürfe hier das „Benzingeld“ jedoch die anteiligen Betriebskosten nicht übersteigen. Vor diesem Hintergrund hält Werner eine Deregulierung und damit eine PBefG-Novelle für sinnvoll – immer mit dem Ziel, leistungsfähigere Verkehrssysteme zu schaffen. Die bestehende Experimentierklausel im PBefG mit ihrer maximal vierjährigen Genehmigungsdauer reicht aus Werners Sicht jedoch nicht aus. . Auch wenn ein System sich bewähre, bestehe die Gefahr, dass es wieder aufgegeben werden müsse. Eine zusätzliche Verkehrsbelastung in den Städten sei aber nicht erstrebenswert. Den Aufgabenträgern will KCW daher Instrumente an die Hand geben, App-basierte Mobilitätsformen zu regulieren. Auch müssten die neuen Mobilitätsformen barrierefrei sein und bei aller Digitalisierung immer auch eine Schnittstelle zur analogen Welt haben, also ohne Smartphone und Computer buchbar sein. Heute sei noch zu wenig bekannt, wie sich neue Mobilitätsformen auswirkten. Deshalb brauche man langfristige Experimente.
Plattformen, die Königinnen der Herzen und des Graswurzel-Lobbyismus
KCW-Beraterin Paula Ruoff hat in einer Studie „Lobbying 2.0“ untersucht, wie Plattformen über ihre Kunden Druck auf Kommunen und Politik ausüben. Beispiel New York: Die Stadt wollte die Zunahme von Uber-Fahrern auf 1 % jährlich begrenzen. Uber rief seine Kunden auf, über einen Button einen E-Mail-Protest bei Bürgermeister Bill De Blasio einzulegen, die Initiative wurde zurückgezogen. Bei den neuen Mobilitätsanbietern stünde das Nutzererlebnis im Zentrum des Geschäftsmodells, sagte Ruoff in ihrem Vortrag am 22. November auf der Hypermotion. Mit den Nutzerdaten würden Produkte weiter- und neuentwickelt. Diese im Vergleich zu klassischen ÖPNV-Anbietern sehr engen Kundenbeziehungen zielten auf Loyalität und Markentreue und seien auch für Digitalkampagnen verwertbar. Ruoff appelliert an die Branche, die Plattformen und ihre Taktiken zu studieren, sodann ähnlich enge Kundenbeziehungen aufzubauen – und zu nutzen. Ganz fremd ist es dem klassischen ÖPNV ja durchaus nicht, seine Kunden als Multiplikatoren gegenüber den kommunalen Eigentümern oder dem Aufgabenträger einzusetzen. Doch unter den Vorzeichen von Verkehr 4.0 muss auch diese Strategie modernisiert werden.