Status quo der ÖPNV-Finanzierung in Deutschland
Die Finanzierung des ÖPNV ist in Deutschland klar geregelt und auf zwei Säulen verteilt:
- öffentliche Finanzierung aus den Haushalten von Bund, Ländern und Kommunen,
- direkte Finanzierung durch die Nutzer (Fahrgelderlöse).
In der Praxis ist die dahinterliegende Struktur allerdings erheblich komplexer und erschwert eine klare Antwort auf die Frage, wer den ÖPNV eigentlich finanziert. Diese Frage ist spätestens dann von Bedeutung, wenn sich aus politischen Zielen – etwa der Stärkung des ÖPNV oder der Antriebswende im (öffentlichen) Verkehr – Mehrkosten ergeben und der austarierte Status quo der ÖPNV-Finanzierung unter Druck gerät.
Vor dem Hintergrund der aktuellen klimapolitischen Debatten hat das Umweltbundesamt KCW beauftragt, die ÖPNV-Finanzierung in Deutschland in einer Studie genau unter die Lupe zu nehmen. Ausgehend vom Status quo sollten Mehrkosten abgeschätzt und Finanzierungsmöglichkeiten erörtert werden. Um ein klares Bild der Ausgangslage zu erhalten, mussten zunächst zahlreiche Dokumente ausgewertet werden. Aus der Zusammenführung und Interpretation der vorhandenen Daten ließ sich – ungeachtet zwangsläufig auftretender Unsicherheiten – eine grobe Finanzierungsübersicht erstellen (Basisjahr: 2016):
Mehrkosten durch Angebotsausweitung und die Umstellung auf alternative Antriebe
In einem zweiten Untersuchungsschritt wurden Mehrkosten für Betrieb und Infrastruktur abgeschätzt. Dabei kamen drei Szenarien mit unterschiedlichen Angebotsmengen zum Einsatz, die pauschal auf das aktuelle Angebot (differenziert nach SPNV, Tram/U-Bahn, Bus sowie Ballungsraum/andere Räume) aufgeschlagen wurden. Das Spektrum reichte von moderaten Steigerungen (5 bis 20 Prozent, je nach Verkehrsmittel und Verkehrsraum) über ein mittleres Szenario (10 bis 40 Prozent) bis hin zu weitreichenden ÖPNV-Angebotsoffensiven mit Zuwächsen zwischen 20 und 60 Prozent.
Eine moderate Angebotsausweitung würde knapp zwei Mrd. Euro zusätzliche Mittel pro Jahr erfordern, massive Steigerungen des Angebots bis zu 7 Mrd. Euro – ohne eine bereits im Status quo bestehende Unterdeckung, insbesondere bei der Infrastruktur.
Zusätzlich wurde ein Wechsel von Dieselantrieben (Bus und Bahn) auf Batterie oder Wasserstoff untersucht. Je nach Angebotsszenario und gewählter Technologie würden sich für Antriebe sowie die erforderliche Ladeinfrastruktur weitere Mehrkosten im mittleren einstelligen Milliardenbereich ergeben.
Alles in allem heißt das: Wenn das ÖPNV-Angebot aus verkehrs- und klimapolitischen Gründen massiv ausgebaut wird und eine konsequente Umstellung auf alternative Antriebe erfolgt, muss das aktuelle Finanzvolumen um rund ein Drittel angehoben werden.
Neuordnung der ÖPNV-Finanzierung
Das Ergebnis unserer Untersuchung führt zu der Frage, wer die Mehrkosten tragen muss. Klar ist: Die Verkehrswende ist eine öffentliche (Mammut-)Aufgabe. Der Staat muss mit Hilfe von Zuschüssen dafür Sorge tragen, dass die klima- und verkehrspolitischen Zielsetzungen erreicht und die entsprechenden Maßnahmen umgesetzt werden. Es erscheint zwingend notwendig, dass die öffentliche Hand den Großteil der Mehrkosten aus Angebotsausweitung und Antriebsumstellung übernimmt. Dabei sind Bund, Länder und Kommunen gleichermaßen in der Pflicht. Es ist allerdings schwer, einzuschätzen, zu welchen finanziellen Zugeständnissen die Politik letztlich bereit ist. Zu beachten ist hierbei auch, dass zum ermittelten Mehrbedarf weitere Kosten hinzukommen, etwa für die Umrüstung von Haltestellen (Stichwort: Barrierefreiheit), die Auflösung des Rückstaus bei Investitionen und Ersatzinvestitionen – und schließlich auch für die Digitalisierung der Branche.
Bei der Finanzierung der Mehrkosten werden auch Fahrgelderträge eine wichtige Rolle spielen (müssen). Das Volumen hängt hier maßgeblich von der Erschließung neuer Nutzergruppen und dem gewählten Tarifniveau unter Berücksichtigung des jeweiligen Angebotsumfangs ab.
Es ist nicht auszuschließen, dass zwischen politischer Finanzierungsbereitschaft und Erlössteigerungspotenzialen eine „Deckungslücke“ verbleiben wird. Dann gibt es zwei Möglichkeiten:
- Die ambitionierten Ziele für eine Verbesserung des ÖPNV werden abgeschichtet oder
- es werden ergänzende Finanzierungsquellen gefunden.
Bereits seit geraumer Zeit wird in der Fachöffentlichkeit sowie in Politik und Gesellschaft über Möglichkeiten diskutiert, die Säulen der ÖPNV-Finanzierung um Instrumente zu ergänzen, die insbesondere Drittnutzer („Nutznießer“) an den Kosten des ÖPNV beteiligen; jene also, die mittelbar Nutzen aus einer guten ÖPNV-Anbindung ziehen, auch wenn sie selbst keine ÖPNV-Nutzer sind. Aus der Fülle an unterschiedlichen Finanzierungsinstrumenten einer solchen „dritten Finanzierungssäule“ wurden in der Untersuchung beispielhaft vier Möglichkeiten vorgestellt und hinsichtlich ihrer Eignung zur Deckung des verbliebenen Finanzierungsaldos bewertet, etwa ein ÖPNV-Beitrag/Bürgerticket oder die Parkraumbewirtschaftung.
Anschließend wurden verschiedene Varianten mit jeweils unterschiedlichen Finanzierungsanteilen für die drei Finanzierungssäulen öffentliche Hand, Fahrgäste und Drittnutzer/Nutznießer modelliert.
Im Ergebnis zeigt das Gutachten neben der Höhe der derzeit in den ÖPNV fließenden Mittel auch die Herausforderung ambitionierter verkehrlicher Ziele für die Finanzarchitektur des ÖPNV. Inkrementelle Eingriffe scheinen nicht auszureichen angesichts der in Rede stehenden Mehrbedarfe. Dies muss bei allen Überlegungen zum Ausbau des ÖPNV von Beginn an mitbedacht werden.
Das Gutachten ist hier abrufbar.