© Nabil Nakkash, E-Scooter in Santa Monica/Kalifornien
Elektrische Mikromobilität

Elektrische Mikromobilität

Vom Spielzeug zum urbanen Verkehrsmittel

2018 war das Jahr, in dem kleine Elektrofahrzeuge auf der globalen Bühne der urbanen Mobilität angekommen sind. 2019 wird das Jahr sein, in welchem sie auch in deutsche Städte kommen.

Stationsloses Sharing auf dem Vormarsch
2015 begann eine Revolution des stationslosen Bikesharings, die in China von Startups wie Ofo und Mobike initiiert wurde. Diese Hightech-Form des Bikesharings, bei der Fahrräder mit Smartphone-Technologie von überall gemietet und abgestellt werden können, wurde weltweit ausgebaut. Dies führte manchmal zu Tausenden von Fahrrädern, die von chinesischen und lokalen Wettbewerbern in den Städten aufgestellt wurden – oft unbeaufsichtigt und chaotisch.

Das Konzept des stationslosen Sharings wurde 2018 um geteilte E-Roller erweitert, die von US Start-Ups wie Bird, Lime und anderen angeboten werden. E-Roller, E-Tretroller oder E-Kickroller sind kleine Fahrzeuge, die früher als Spielzeug betrachtet wurden, aber durch den Einsatz eines Elektromotors zu einem ernstzunehmenden urbanen Verkehrsmittel geworden sind. Laut den Organisatoren der "Micromobility Conference" entspricht die globale Verbreitung von geteilten Fahrrädern und Rollern in den letzten Jahren der "schnellsten Verbreitung einer technischen Neuheit in der Geschichte".

Mikromobiltät mit hohem Marktpotenzial und Marktwert
Der Bericht "Mobilität in Deutschland" zeigt, dass 2017 die Hälfte der Autofahrten in Deutschland weniger als 6,7 Kilometer betrug. Eine große Anzahl dieser Fahrten kann neben dem Fahrrad und ÖPNV auch durch elektrische Kleinfahrzeuge ersetzt werden. Zu diesen zählen neben den E-Rollern vor allem elektrische Fahrräder, aber auch E-Skateboards oder Hoverboards. E-Roller sind, vor allem neben E-Bikes, sicherlich als das prominenteste Beispiel von E-Kleinfahrzeugen/Mikromobilität anzusehen, mit denen auch das größte Marktpotenzial erzielt werden kann.

Nach einer aktuellen Studie von McKinsey haben Investoren in den letzten vier Jahren weltweit mehr als 5,7 Milliarden Dollar in Start-ups der Mikromobilität investiert. Dieser Geldzufluss hat dazu geführt, dass Bird, ein in Santa Monica ansässiges E-Roller-Sharing Unternehmen, in weniger als einem Jahr eine Bewertung von zwei Milliarden US-Dollar erreicht hat. Auch große Unternehmen wie Uber, Lyft, Ford und andere investierten in E-Roller-Sharing-Unternehmen oder erwarben diese. Der McKinsey-Bericht schätzt, dass der globale Mikromobilitätsmarkt bis 2030 ein Volumen von 300-500 Milliarden US-Dollar (davon 100-150 Milliarden allein in Europa) erreichen könnte. Das entspricht etwa 25 Prozent des prognostizierten globalen Marktpotenzials für autonome Verkehrsanwendungen von rund 1.600 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030.

Restriktive Gesetzeslage vor Lockerung?
E-Roller und andere kleine elektrisch angetriebene Fahrzeuge haben sich weltweit verbreitet. Bislang sind Fahrzeuge mit Elektromotoren, die schneller als 6 Kilometer pro Stunde fahren können, nach geltendem Recht nicht für den deutschen Straßenverkehr zugelassen. Die in den kommenden Monaten zu erwartende "Verordnung über die Teilnahme von Elektrokleinstfahrzeugen am Straßenverkehr" lässt Neuerungen erwarten. Laut des jüngsten Verordnungsentwurfs vom 26. Februar 2019 ist kein Mofa-Führerschein für Roller mit Lenk- und Haltebügel erforderlich. Das war noch in der etwa drei Monate vorher erschienenen Entwurfsfassung vorgesehen. Nun soll jeder ab dem 12. Lebensjahr diese E-Roller fahren können, je nach Maximalgeschwindigkeit aber auf unterschiedlichen Wegen: Roller mit einer Maximalgeschwindigkeit zwischen sechs bis zwölf Kilometer pro Stunde sollen nur auf Gehwegen fahren, solche zwischen 12 bis 20 Kilometer pro Stunde auf Radwegen und Straßen. Eine Helmpflicht ist nicht geplant. Eine Versicherungspflicht inklusive erforderlichem Aufkleber ist vorgesehen.

Dieser Entwurf hat insbesondere bei Fußgängerorganisationen großen Widerstand hervorgerufen, die diese Fahrzeuge als Gefahr auf Gehwegen sehen. Das aktuelle Thema wird immer wieder, teilweise kontrovers, in deutschen Zeitungen behandelt. Laut Tagesspiegel vom 26. Februar 2019 warten mindestens acht Unternehmen auf eine Neufassung des Gesetzes, um E-Roller in Berlin zu vermieten. Internationale Akteure wie Bird und Lime sowie lokale deutsche Unternehmen wie Tier und Flash stehen bereit, ihre Dienstleistungen anzubieten.

Kosten und Rentabilität
Das derzeitige Angebot der meisten Unternehmen ermöglicht es den Nutzern, die Roller gegen eine Grundgebühr von 1 US-Dollar / Euro / Schweizer Franken freizuschalten und beliebig lange auszuleihen (gegen eine Gebühr von beispielsweise 15-20 Cent pro Minute).

Aus wirtschaftlicher Sicht sei, so hieß es bisher, dieser Service sehr profitabel. Diese Annahmen basierten auf Schätzungen, die aussagten, dass ein Unternehmen bei Anschaffungskosten von rund 400 Dollar für einen Elektroroller die Fahrzeuginvestition nach gut drei Monaten erwirtschaften kann. Dies könnte erklären, warum Lime (ehemals LimeBike) in Städten wie St. Louis in den USA seine E-Bikes jetzt durch E-Scooter ersetzt hat. Diese Schätzungen könnten jetzt dadurch in Frage gestellt werden, dass der typische E-Roller nach neusten Daten aus der Stadt Louisville lediglich eine durchschnittliche Lebensdauer von 28,8 Tage hätte. Obwohl Bird die Annahme verneinte, dass der typische Roller nur 28 Tage halten würde, führten sie ein neueres und robusteres Modell ein, das ihre derzeitigen Roller ersetzt. Geteilte E-Scooter, wie geteilte Fahrräder vor ihnen, werden zum einen stark genutzt, zum anderen werden sie oft gestohlen oder mutwillig beschädigt.

Neben dem Modell der Start-Ups, E-Roller für einzelne Nutzungen auszuleihen, sind auch andere Geschäftsmodelle möglich. Das Berliner Start-Up GroverGo bietet eine monatliche Miete der E-Roller für 49,90 Euro pro Monat an. Dies könnte für Menschen attraktiv sein, die das Fahrzeug für einige Monate benötigen, es aber nicht besitzen wollen.

Marktpotenzial in der Realität: Lösung für die letzte Meile?
Elektroroller werden oft von E-Roller-Sharing-Unternehmen, Investoren und Fans dieser Mobilitätsform als mögliche Lösung für alle Verkehrsprobleme unserer Städte angepriesen. In der Realität ist ihr Einfluss auf die städtische Mobilität aufgrund ihrer Neuartigkeit jedoch noch nicht langfristig abschätzbar.
E-Roller bieten eine schnelle und einfache Möglichkeit, die erste und letzte Meile einer Strecke schnell und unterhaltsam zurückzulegen. Sie erweitern die Palette der Mobilitätsmöglichkeiten und sind insbesondere in Verbindung mit dem öffentlichen Verkehr attraktiv.

Dort, wo Elektroroller schon etablierter sind, gibt es erste Zahlen. Sie belegen ein rasantes Wachstum.

In Charlotte (USA) zielt ein Shared Mobility Pilotprogramm darauf ab, Daten sowohl über die Nutzung von E-Scootern als auch über die Nutzung von stationslosen Fahrrädern in der Stadt zu sammeln und zu vergleichen. Die Ergebnisse zeigen, dass die E-Roller beliebter als Fahrräder sind. Im Juli 2018 unternahmen die Einwohner 100.273 Fahrten mit E-Rollern, verglichen mit 27.453 Fahrten mit dem Fahrrad. Im Dezember 2018 stiegen die Nutzerwerte der E-Roller im Verhältnis zum Rad sogar noch an: 82.523 Nutzer wählten den E-Roller, nur 3.312 das Rad.

In Portland fuhren 700.369 Menschen während einer viermonatigen Pilotphase mit E-Rollern, was fast 6.000 Fahrten pro Tag entspricht. Die Stadt Portland hat durch das Portland Bureau for Transportation Bürgerinnen und Bürger befragt, um die Attraktivität des Angebotes zu untersuchen. Sie kam zu dem Ergebnis, dass E-Roller nicht nur Autofahrten, sondern auch den eigenen Autobesitz reduzieren. Auf die Frage "Wenn Sie an Ihre letzte E-Roller-Reise denken..." gaben 34 Prozent der Befragten an, dass sie alternativ mit dem Privatwagen oder einem Taxidienst gefahren wären. Bei sechs Prozent der Befragten hat der Elektroroller das eigene Auto schon jetzt ersetzt, weitere 16 Prozent erwägen dies. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass die E-Roller auch zu einem Drittel Fußwege ersetzt haben. Insgesamt lässt sich an der Studie ablesen, dass die E-Roller neben Vorteilen wie Kostenersparnis vor allem wegen des Spaßfaktors geschätzt werden – und das vor allem von Besserverdienern zwischen 20 bis 40 Jahren.

Mit dem wachsenden Interesse von Mobilitätsanbietern wie Uber (JUMP) und MyTaxi (Daimler-Tochter startet E-Roller Firma Hive) sowie von Automobilherstellern (BMW bietet den ersten E-Tretroller auf dem Markt an) rücken E-Roller-Dienste in den weltweiten Massenmarkt vor.

Mit dem bereits bestehenden ausgedehnten Radwegenetz in einigen deutschen Städten können E-Roller ein attraktiver Ersatz für Autos bei Kurzstrecken und eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr sein. Eine durchdachte Organisation der Verleihpunkte und Abstellmöglichkeiten sollte dabei Voraussetzung sein.