Bei den Bemühungen, die Treibhausgasemissionen in der Europäischen Union zu senken, spielt der Verkehrssektor eine Schlüsselrolle. Das liegt nicht nur daran, dass rund 20 Prozent des anthropogenen Ausstoßes auf sein Konto gehen – sondern hat auch damit zu tun, dass er als einziger Sektor unter dem Strich bislang keine Erfolge vorweisen kann: in Deutschland lagen die sektorspezifischen Emissionen im Jahr 2017 in etwa auf dem Niveau von 1990, im EU-Durchschnitt sind sie um 30 Prozent gestiegen, in Österreich (inkl. Tanktourismus) sogar um 70 Prozent (Stand: 2017).
Ein Kernziel der europäischen Klimapolitik ist die Verlagerung von Straßenverkehren auf umweltfreundliche Verkehrsträger, vor allem auf die Schiene. Zudem sollen die Emissionen durch eine Antriebswende gesenkt werden: keine klassischen Verbrenner mehr; Lkw, Pkw und Busse sollen künftig mit umwelt- und vor allem klimafreundlichen Motoren vorankommen.
Vorreiter bei der Antriebswende soll der ÖPNV mit Bussen werden. Die rechtliche Grundlage hierfür haben Europäisches Parlament und Rat mit einer Änderung der Richtlinie 2009/33/EG zur Förderung sauberer und energieeffizienter Straßenfahrzeuge – der „Clean Vehicles Directive“, kurz CVD – geschaffen.
CVD-Vorgaben: Was, wann, für wen?
In der Richtlinie wird zum einen festgelegt, wann ein Fahrzeug „sauber“ („clean“) und emissionsfrei („zero-emission“) ist; und es gibt konkrete Vorgaben für die Mitgliedstaaten, wie groß der Anteil an sauberen und emissionsfreien Fahrzeugen bei der Fahrzeugbeschaffung im öffentlichen Bereich und bei der Vergabe von Aufträgen im ÖPNV ab Mitte 2021 sein muss.
Ein Fahrzeug ist „sauber“, wenn es alternative Kraftstoffe wie Strom, Wasserstoff, Biokraftstoffe, synthetische und paraffinhaltige Kraftstoffe oder Gas (CNG, LNG, LPG, Biomethan) nutzt. Auch Plug-In Hybridbusse sind „clean“.
Als „emissionsfrei“ gelten Fahrzeuge, wenn sie keinen Verbrennungsmotor haben – oder der Verbrennungsmotor weniger als 1 g CO2/km bzw. 1 g CO2/kWh ausstößt. Da dies faktisch ausgeschlossen ist, sind nur Busse mit reinen Elektroantrieben (Batterie-, Trolley-, Brennstoffzellenbus) emissionsfrei im Sinne der Richtlinie.
In der Clean Vehicles Directive sind Mindestquoten für zwei mehrjährige Perioden festgeschrieben worden. Für Deutschland, Österreich und die meisten westeuropäischen Länder gelten folgende Vorgaben:
- Erste Periode (2. August 2021 bis 31. Dezember 2025): 45 Prozent der neu zu beschaffenden Fahrzeuge sollen „saubere“ Busse sein, mindestens die Hälfte davon soll einen emissionsfreien Antrieb haben.
- Zweite Periode (1. Januar 2026 bis 31. Dezember 2030): die Quote für saubere Fahrzeuge steigt auf 65 Prozent, erneut soll mindestens die Hälfte davon emissionsfrei angetrieben werden.
Die Quoten der zweiten Periode gelten über das Jahr 2030 hinaus, sofern keine neuen Quoten beschlossen werden. Es gibt jedoch Ausnahmen: Im Busbereich sind regelmäßig nur Stadtbusse erfasst, Reisebusse bleiben außen vor. Für eigenwirtschaftliche Verkehre gelten die Vorgaben nur, wenn das jeweilige Verkehrsunternehmen als Sektorenauftraggeber anzusehen ist. Die in der Richtlinie genannten Quoten beziehen sich auch nicht auf jeden einzelnen Auftrag, sondern auf den Durchschnitt der vergebenen Aufträge im Mitgliedstaat.
Umsetzung im deutschen Recht noch offen
Die Regelungen zur Umsetzung der neuen Vorgaben in Deutschland und Österreich wurden noch nicht erlassen. Ob und wie die nationale Quote letztlich heruntergebrochen wird, etwa auf Bundesländer oder Aufgabenträger, können die nationalen Gesetzgeber selbst festlegen. Bis eine Umsetzungsregelung vorliegt, haben die Aufgabenträger noch keine Planungssicherheit. Sinnvoll für die Umsetzung erscheint eine Strategie, die die Beschaffung von umweltfreundlichen Fahrzeugen in Ballungsräumen vorzieht, wo ein lokal emissionsfreier Betrieb ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweist.
Erste Konsequenz: Dekarbonisierungsstrategie jetzt entwerfen
Klar ist: Aufgabenträger und Betreiber werden die Vorgaben der CVD ab August 2021 bei allen neuen Beschaffungsvorhaben beachten müssen. Lediglich unterhalb der Bagatellgrenzen des Art. 5 Abs. 4 VO (EG) Nr. 1370/2007 für kleine Dienstleistungsaufträge haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, Aufträge vom Geltungsbereich der CVD auszunehmen. Da die Einführung von alternativen Antrieben in der Regel einen Zeitvorlauf von mehr als zwei Jahren hat (Strategie, Planung und Errichtung entsprechender Energieversorgungsinfrastruktur, Vergabe), sollten die Aufgabenträger des ÖPNV jetzt handeln und insbesondere Dekarbonisierungsstrategien entwickeln oder fortentwickeln. Vor allem muss klar sein, welche Technologien zum Einsatz kommen sollen und wie die Umstellung ablaufen soll.
Zweite Konsequenz: Höherer Finanzbedarf für den ÖPNV mit Bussen
Im Rahmen des Sofortprogramms „Saubere Luft“ haben Bundesverkehrs- und Bundesumweltministerium die Anschaffung von rund 820 Elektrobussen gefördert (Stand: Juli 2019), die bis 2022 zum Einsatz kommen sollen. Die Zahl wirkt groß, ist sie aber nicht: Allein die Mitglieder des VDV setzen laut Verbandsstatistik derzeit mehr als 35.000 Linienbusse im Nahverkehr ein.
Emissionsfreie Busse sind schon in der Anschaffung teurer als konventionelle Dieselfahrzeuge. Betriebshöfe und Werkstätten müssen auf elektrische Fahrzeuge angepasst werden, eine entsprechende Energieversorgungsinfrastruktur muss errichtet werden. Auch können Batteriebusse die Dieselfahrzeuge oft nicht 1:1 ersetzen – in der Folge werden mehr Fahrzeuge und auch mehr Personal benötigt. Um die Quoten der CVD zu erfüllen, wird daher ein höheres finanzielles Engagement der öffentlichen Hand erforderlich sein.
KCW unterstützt seine Kunden im ÖSPV und SPNV bei strategischen Fragen im Zusammenhang mit Dekarbonisierung und CVD-konformen Leistungsvergaben.
Weitere Informationen zum Thema finden Sie hier:
KCW-Impuls Dekarbonisierung des öffentlichen Verkehrs
KCW-Impuls NAH.SH beauftragt Lieferung von Akkuzügen
Link zur Clean Vehicles Directive