Der BGH muss klären

Der BGH muss klären

Aktuelle Rechtsprechung zur Anwendung der VO 1370 bei kommunalen Direktvergaben

Der Bundesgerichtshof muss demnächst eine juristische Frage klären, die erhebliche Auswirkungen auf Kommunen haben könnte, die ihr eigenes Verkehrsunternehmen mit der Erbringung von Bus- oder Straßenbahnleistungen betrauen wollen. Die entsprechenden Regelungen sind in einer speziellen Verordnung, der VO (EG) Nr. 1370/2007 („VO 1370“), enthalten. Die Entscheidung wird sich auf die Frage auswirken, ob Kommunen, die ihr Verkehrsunternehmen zusammen mit Nachbarkommunen beauftragen wollen, dies wie bisher tun können.

EuGH-Urteil vom Frühjahr 2019

Am 21. März 2019 urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH), dass direkt zu vergebende Verträge über Bus- oder Straßenbahnleistungen dem Richtlinienvergaberecht unterfallen (EuGH, Urteil vom 21.03.2019, C-266/17 und C-267/17). Das Richtlinienvergaberecht findet nach Art. 12 Richtlinie 2014/24/EU keine Anwendung, wenn die Voraussetzungen eines öffentlichen Auftrags zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors erfüllt sind (umgesetzt in Deutschland in § 108 GWB „Ausnahmen bei öffentlich-öffentlicher Zusammenarbeit“). Die Möglichkeit der Direktvergabe an einen internen Betreiber, wie sie die VO 1370 in Art. 5 Abs. 2 vorsieht, greift gemäß EuGH hingegen im Bereich Bus/Straßenbahn nur dann, wenn der Vertrag als Dienstleistungskonzession vorliegt. Der EuGH äußerte sich allerdings nicht zur Auslegung des Begriffs des öffentlichen Dienstleistungsauftrags, wie ihn die VO 1370 verwendet, und zur Auslegung seines Verhältnisses zum Auftragsbegriff des Richtlinienvergaberechts („schriftlicher entgeltlicher Vertrag“).

Die Praxis steht nun vor der Frage: Nach welchen Regeln richtet sich die direkte Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags im Sinne der VO 1370, der nicht als schriftlicher entgeltlicher Vertrag ausgestaltet ist, sondern bei dem die Betrauung z. B. per Ratsbeschluss oder Gesellschafterentscheidung erfolgen soll?

Auffassung des OLG Düsseldorfs weicht von OLG Jena ab – Vorlage zum BGH

Die Antwort des OLG Jena im Juni war: Da im Fall eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags, der über eine gesellschaftsrechtliche Weisung erteilt werden soll, eindeutig kein Vertrag vorliege, griffen die Regeln, die die Verordnung (Art. 5 Abs. 2 VO 1370) für eine Direktvergabe an einen internen Betreiber vorsieht (OLG Jena, Beschluss vom 12.6.2019, 2 Verg 1/18).

Wie nun ein Beschluss vom Juli zeigt, will das OLG Düsseldorf die Frage anders beantworten – der vergaberechtliche Begriff des öffentlichen Auftrags sei ein funktionaler Rechtsbegriff, woraus im Gefolge der oben angeführten EuGH-Entscheidung folge, dass Direktvergaben im Bereich Bus/Straßenbahn – vorbehaltlich es handelt sich bei diesen nicht um Dienstleistungskonzessionen – nach den Voraussetzungen des § 108 GWB zu beurteilen seien (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 03.07.2019, VII-Verg 51/16). Welche Antwort richtig ist, muss nun der Bundesgerichtshof entscheiden.

Einschätzung von KCW-Experten in Verkehr und Technik

Jan Werner und Astrid Karl sind den Hintergründen dieser Fragestellung in einem kürzlich veröffentlichten Aufsatz nachgegangen. Sie haben sich dabei mit den Unterschieden der Auftragsbegriffe der VO 1370 und des Vergaberechts auseinandergesetzt – und kommem zu folgendem Ergebnis: Die VO 1370 definiert den Begriff des öffentlichen Dienstleistungsauftrags sehr weit und verknüpft ihn mit verschiedenen besonderen Rechtsfolgen. Bei einer funktionalen Auslegung des Auftragsbegriffs des Vergaberechts, der dem Wortlaut nach enger gefasst ist, sind Anwendungsüberschneidungen zwischen dem Sondervergaberecht der VO 1370 und dem Richtlinienvergaberecht vorprogrammiert. Eine klare Abgrenzung ist hingegen möglich, wenn die Anwendung von § 108 GWB auf verhandelte Auftragsbeziehungen bezogen wird; bei verhandelten Auftragsbeziehungen muss nicht mit einem funktionalen Auftragsbegriff gearbeitet werden.