Workshop Eisenbahnregulierung 2021

Workshop Eisenbahnregulierung 2021

Digitaler Austausch am 17. Juni 2021

Der diesjährige Eisenbahnregulierungs-Workshop fand pandemiegeschuldet als Online-Veranstaltung statt. Wie immer waren Vertreter/-innen verschiedener Unternehmen und Bereiche aus der Bahnbranche anwesend, um über die aktuellen Entwicklungen zu diskutieren.
Die diesjährigen Fachvorträge nahmen neben der Pandemie auch neueste rechtliche Entwicklungen auf deutscher und europäischer Ebene ins Blickfeld.

Zugverspätungen im Netzzugangsrecht: Zwischen Anreizsystem, Minderung und Schadensersatz – aktueller Stand und Perspektiven, Dr. Anselm Grün (OrthKluth)
Im ersten Vortrag ging es um die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Pönale gegen das Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) aus dem Verkehrsvertrag durch die Regresshaftung vom EVU an das Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU) weitergegeben werden können. Ausgangspunkt war ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom Februar 2021 (Az. XII ZR 29/20).

Im konkreten Fall musste das EVU nach dem Verkehrsvertrag an den Aufgabenträger Pönalen für die Verfehlung des Taktfahrplans zahlen. Im Regressweg nahm das EVU das EIU in Anspruch.

Der BGH konnte mit seinem Urteil zur Klärung einiger, allerdings nicht aller Streitpunkte beitragen. So bestätigte das Gericht zwar, dass das Infrastrukturunternehmen dafür sorgen muss, dass auf seinen Schienen ein pünktlicher Betrieb nach Fahrplan möglich ist. Unklar ist aber weiterhin, ob das EIU für Sekundärursachen (etwa Zugfolgen) haftet und auch, wie viele Zugverspätungsminuten noch tolerabel sind. Die Entscheidung könnte zudem Rückwirkungen auf die Wirksamkeit von Pönale-Regelungen in Verkehrsverträgen haben. Es stellt sich die Frage, ob diese ebenfalls den Begrenzungen der Regresshaftung entsprechen müssen (jedenfalls soweit das EVU selbst die Unpünktlichkeit nicht verursacht hat). Damit verbleiben weiterhin Unsicherheiten für alle Akteure. Eine zwischen EVU, Aufgabenträger und EIU abgestimmte Branchenlösung könnte Klarheit und Rechtssicherheit schaffen.

ÖPNV-Rettungsschirm 2020: Herausforderungen für den Schadensnachweis im SPNV, Lea Regling (KCW)
Seit März 2020 verzeichnete der ÖPNV durch die Corona-Pandemie einen erheblichen Fahrgastrückgang und zugleich wurde – um die Mobilitätsversorgung sicherzustellen – der SPNV-Betrieb weitgehend aufrechterhalten. Bund und Länder sorgten durch den ÖPNV-Rettungsschirm 2020 dafür, dass Verkehrsunternehmen oder Aufgabenträger beim Wegfall eines großen Teils der Fahrgeldeinnahmen finanziell gestützt werden konnten.

Der Schadensnachweis für diese Finanzhilfen beschäftigt derzeit die ganze SPNV-Branche und stellt sie vor zahlreiche Herausforderungen. Hinter dem Rettungsschirm steht eine verflochtene Struktur verschiedener rechtlicher Maßnahmen: neben den auf einer bundesweit abgestimmten Muster-Richtlinie basierenden Landesrichtlinien ist auch § 7 RegG von Bedeutung, durch den zusätzliche Bundesmittel zur Verfügung gestellt wurden. Schließlich gibt es einen bei der Europäischen Kommission notifizierten Beihilferechtsrahmen für die „Phase 1“ (Zeitraum März 2020 bis August 2020), durch den unmittelbare Zahlungen an Verkehrsunternehmen ermöglicht wurden. Dementsprechend muss auch der Schadensnachweis vielfältigen Anforderungen entsprechen.

Die Leistungsempfänger müssen einerseits den „tatsächlich entstandenen“ Schaden nachweisen und andererseits den Fristablauf zum 30.09.2021 beachten. Dabei sind viele Vorfragen zu klären (insbesondere die Einnahmeaufteilung) und rechtliche Graubereiche auszuleuchten – u. a. inwieweit auch Vertriebsdienstleister indirekt von den Finanzhilfen des ÖPNV-Rettungsschirms profitieren können. Hinzu kommt das Erfordernis einer „Testierung“ durch einen Wirtschaftsprüfer bzw. Steuerberater – eine Testierung neuer Art, für die es kein Musterprozedere gibt.

Umsetzungsfragen Deutschland-Takt – eine Einschätzung der Experimentierklausel, Dr. Felix Berschin (Nahverkehrsberatung Südwest)
Der Bundestag hat Ende Mai 2021 ein Pilotierungsverfahren zur Erprobung im Hinblick auf den Deutschland-Takt im Eisenbahnregulierungsgesetz beschlossen (§ 52a ERegG). Danach kann das Bundesverkehrsministerium Schienenwege festlegen, auf denen der Deutschland-Takt „getestet“ wird. So sollen auf bestimmten Strecken verschiedene neue Modelle der Kapazitätsnutzung und der Fahrplanerstellung ausprobiert werden können. Das BMVI legt fest, auf welchen Schienenwegen solche Pilotprojekte durchgeführt werden können. Noch ist unklar, wer die Zuschläge bekommt. Absehbar ist jedoch, dass die Anzahl an Projekten nicht groß sein wird.

Hinzu kommt, dass ohne Rahmenvertrag auf europäischer Ebene zusätzliche Unsicherheit bei der Implementierung des Deutschland-Taktes, insbesondere bei transnationalen Verkehren besteht.

Auch kommt das Thema Deutschland-Takt im politischen Diskurs zunehmend seltener zum Zug. Dabei würden alle Akteure der Branche vom Deutschland-Takt profitieren, auch der Schienengüterverkehr.

Warum die Gegner einer Bahnreform II sich und der Eisenbahn keinen Gefallen tun, Peter Westenberger (Netzwerk Europäischer Eisenbahnen)
Nach Ansicht von NEE-Geschäftsführer Peter Westenberger benötigt Deutschland dringend eine Bahnreform II. Er begründet seinen Befund vor allem mit einer vielfältigen Stagnation im Eisenbahnsektor. Die aktuelle DB-Konzernstruktur führe zu einer starken und weiter steigenden Verschuldung und zu einer verfehlten Strategie, die sich in einer Status-quo-Orientierung und mangelnder Produktivität zeige.

Folgende Problempunkte wurden identifiziert:

  • Rendite machen ist ein großer Hemmschuh,
  • Starke Verflechtungen zwischen den DB-Konzernteilen bieten „informelle Vorteile“ gegenüber Wettbewerbern,
  • Mangelnde Innovationsgeschwindigkeit,
  • Wettbewerber konzentrieren sich auf wenige, lukrative Strecken und können nur durch Billiglohn rentabel betrieben werden.

Denkbare Ansatzpunkte für die Bahnreform II sieht Westenberger in einer Trennung von Netz und Betrieb sowie einer Privatisierung von Teilen des Konzerns einerseits und einer Re-Verstaatlichung bzw. Gemeinwohlorientierung der übrigen Konzernteile andererseits.

Um die Kritikpunkte zu lösen, schlägt Westenberger folgendes vor: Eine unabhängige Kommission, bestehend aus höchstens sechs Fachexperten, erarbeitet bis Ende 2022 eine Analyse. Daraus soll ein politischer Diskurs folgen, der bis Ende 2023 in die Weiterentwicklung der Eisenbahnorganisation mündet.

Fazit der Abschlussrunde
In der abschließenden Diskussion tauschten sich die Referenten aus. Zu guter Letzt einigte man sich bei der Frage „Ist Europarecht noch maßgebend?“ auf eine gemeinsame Antwort: Ja, und das ist auch nicht schlecht. Deutschland sollte als wichtiges Mitglied mehr Einfluss auf den politischen Diskurs und die Gesetzgebung in der Eisenbahnbranche nehmen. Die EU kann wichtige Veränderungen im nationalen Bereich voranbringen.