Ausgangslage und Untersuchungsauftrag
Der Straßengüterverkehr ist derzeit für den Ausstoß von rund 52 Mio. Tonnen CO2 verantwortlich, was knapp einem Drittel der gesamten Emissionen im Verkehrssektor entspricht. Sofern man unterstellt, dass das Sektorziel – mindestens 40 Prozent weniger Treibhausgase im Jahr 2030 gegenüber 1990 – für alle Verkehrsarten gleichermaßen gilt, müsste der Straßengüterverkehr seinen CO2-Ausstoß um mindestens 21 Mio. Tonnen senken.
Um die ehrgeizigen Minderungsziele zu erreichen, setzt die Politik beim Lkw derzeit vor allem auf „intramodale“ Ansätze – etwa auf sparsame Verbrennungsmotoren oder alternative Antriebe. Eine Verlagerung von der Straße auf die Schiene in einem nennenswerten Umfang wird kaum diskutiert.
Anders als die Politik hat das Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE) in seiner „Studie 35“ ein klares Verdopplungsziel für den Güterverkehr auf der Schiene formuliert. In einer Studie für das NEE, die im Mai 2019 veröffentlicht wurde, untersucht KCW, welche Infrastrukturmaßnahmen bis zum Jahr 2035 umgesetzt sein müssten, um die Verdopplung zu ermöglichen. Darauf aufbauend hat sich KCW nun in einer weiteren Untersuchung mit zwei zentralen Fragen zu den Klimazielen befasst:
Ist es realistisch, dass im Straßengüterverkehr bis 2030 tatsächlich mehr als 20 Mio. Tonnen CO2 eingespart werden können?
Welches CO2-Minderungspotenzial ergibt sich durch die Verdopplung des Schienengüterverkehrs und zusätzlich durch die Umstellung des Bahnstrommixes auf erneuerbare Energien?
Der Beitrag des Lkw zur CO2-Minderung wird überschätzt
Unsere Analyse hat ergeben, dass das CO2-Minderungspotenzial des Lkw bei allen drei wesentlichen aktuellen verkehrspolitischen Handlungsfeldern deutlich überschätzt wird:
- Antriebsverbesserung Dieselmotor: Bereits in der jüngsten Vergangenheit hat sich die Kraftstoff-Effizienzkurve beim Lkw deutlich verlangsamt; zuletzt sank der spezifische Kraftstoffverbrauch um deutlich weniger als ein Prozent pro Jahr. Wir halten weitere erhebliche Effizienzsprünge beim Lkw für wenig realistisch, da der Dieselmotor weitgehend ausentwickelt scheint und die standardisierten Lademaße im Güterverkehr weiteren Optimierungen im Bereich der Aerodynamik enge Grenzen setzen.
- Oberleitungs-Lkw: Der Oberleitungs-Lkw könnte die CO2-Emissionen auf der Straße deutlich senken, wenn er den Diesel-Lkw obsolet machen würde. Allerdings gibt es erhebliche Unwägbarkeiten und Unsicherheiten, eine flächendeckende Einführung und ein wirtschaftlicher Betrieb in den kommenden 10 bis 15 Jahren sind unwahrscheinlich.
- Alternative Lkw-Antriebe (z. B. Batterie, Wasserstoff): Der Straßengüterverkehr ist, vor allem bei den volumenstarken Fernverkehren, für eine Umstellung auf alternative Antriebe eher ungeeignet. Reichweitenbeschränkungen oder Einbußen bei den Zuladegewichten haben einen unmittelbaren Einfluss auf die Wirtschaftlichkeit dieser Verkehre – und daher ist ein Wechsel auf alternative Antriebe nicht zu erwarten, sofern der Verbrennungsmotor nicht verboten oder der Betrieb erheblich verteuert wird.
In der Gesamtschau zeigt sich, dass eine erhebliche Diskrepanz zwischen den geplanten Maßnahmen im Straßengüterverkehr und den erwarteten Minderungen besteht: Das Bundesverkehrsministerium geht derzeit von 17 bis 18 Mio. Tonnen CO2 aus; diese Größenordnung halten wir für deutlich überzogen. Dennoch sind technische Innovationen beim Lkw sinnvoll, gerade im Güternahverkehr sind erhebliche positive Effekte zu erwarten.
Der Beitrag der Güterbahn zur CO2-Minderung wird unterschätzt
Sofern die Voraussetzungen für eine Verlagerung von Gütertransporten auf die Schiene erfüllt sind (nach einem Infrastrukturausbau und einer Innovationsoffensive), sind nach unseren Erkenntnissen erhebliche CO2-Minderungen möglich.
Bei der Ermittlung der Potenziale der Schiene haben wir mit zwei Szenarien gearbeitet:
- Durchschnittsansatz: Lineare Verlagerung aus allen Segmenten des Straßengüterverkehrs auf Basis der heutigen Produktionssysteme des Schienengüterverkehrs
- Differenzierter Ansatz: Vor allem Verlagerung von Transporten des Güterfernverkehrs und zudem Optimierung der betrieblichen Prozesse, insbesondere hinsichtlich Zuglängen und Ladegewichten. Dadurch steigt die Verkehrsleistung im Vergleich zum Durchschnittsansatz (bei der gleichen Anzahl genutzter Trassenkilometer), zugleich sinkt der spezifische Verbrauch deutlich
Wir gehen in beiden Szenarien von drei zentralen Effekten aus: - Einsparung von Diesel durch die Verlagerung vom Lkw auf die Bahn
- Anstieg der CO2-Emissionen auf Basis des aktuellen Strommixes
- Minderung der CO2-Emissionen durch eine weitgehende Umstellung auf erneuerbare Energien
Im Ergebnis konnten Minderungen in Höhe von 10 bis 10,5 Mio. Tonnen CO2 (Durchschnittsansatz) bzw. 8,3 bis 8,7 Mio. Tonnen CO2 (Differenzierter Ansatz) ermittelt werden – davon 9,2 bzw. 7,6 Mio. Tonnen, die auf das Sektorziel des Verkehrs einzahlen. Die Schiene kann also durch Verkehrsverlagerung und eine Änderung des Bahnstrommixes einen großen Beitrag zur CO2-Einsparung leisten. Damit ließen sich Investitionen in das Schienenetz doppelt in Wert setzen: Durch eine höhere verkehrliche Nutzung (Verlagerung) sowie den daraus folgenden Beitrag zur CO2-Minderung.
Das NEE hat die KCW-Studie „Klimaeffekt der Verkehrsverlagerung im Güterverkehr“ am 3. September 2019 vorgestellt. Sie ist hier abrufbar.