Das „neue Normal“ im ÖPNV

Das „neue Normal“ im ÖPNV

Zwischenbilanz nach über zwei Jahren Corona

Die Coronavirus-Pandemie stellt für den öffentlichen Personennahverkehr in Deutschland einen spürbaren Einschnitt dar. Die Fahrgastzahlen brachen während der ersten Pandemie-Welle im Frühjahr 2020 um fast die Hälfte ein. Inzwischen fahren zwar wieder deutlich mehr Menschen mit Bussen und Bahnen, das alte Niveau konnte aber noch nicht wieder erreicht werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie der ÖPNV zurück auf die Erfolgsspur kommen kann.

Im Auftrag des Umweltbundesamts recherchierten KCW und Probst & Consorten Marketing-Beratung die diesbezüglichen Erfahrungen, die in der Branche nach den ersten beiden Jahren der Pandemie vorliegen. Dabei zeigte sich: Es sind vor allem Aktivitäten in zwei Handlungsfeldern, die zuletzt angestoßen wurden: die Verbesserung der Hygiene zum Schutz vor Viren und die Anpassung von Tarifkonzepten an die veränderte Fahrgastnachfrage.

Verbesserung der Hygiene zum Schutz vor Viren

Obwohl den vorliegenden Studien zufolge im ÖPNV grundsätzlich nur ein geringes Infektionsrisiko besteht, kann die Ausbreitung von Viren in öffentlichen Verkehrsmitteln durch technische Lösungen weiter gebremst werden. Reinigungsmaßnahmen, die bereits vor der Pandemie Anwendung fanden, wurden deshalb intensiviert. Auch Luftreinigungsanlagen zur Verhinderung der Aerosolausbreitung kommen seither zum Einsatz. Durch die Digitalisierung von Kundenservices lassen sich direkte Kontakte vermeiden, ohne die Dienstleistungsqualität zu beeinträchtigen. Auch bietet sich an, die Auslastung von Fahrzeugen zu steuern, indem Fahrgästen mittels Informationen zum Besetzungsgrad ermöglicht wird, überfüllte Verkehrsmittel zu meiden. Dabei steigt der Schutzeffekt mit der verfügbaren Taktdichte bzw. den verfügbaren Ausweichmöglichkeiten.

Aktive Kommunikation, um Fahrgäste (zurück-)zugewinnen und zu binden

Neben technischen Lösungen sind auch Informations- und Kommunikationsmaßnahmen, die auf das subjektive Sicherheitsgefühl der Fahrgäste abzielen, von erheblicher Bedeutung. Denn verunsicherte Menschen nutzen im Zweifel lieber den eigenen Pkw oder das Fahrrad – obwohl Bus und Bahn objektiv betrachtet ähnlich virensicher sind.

Alternative Tarifkonzepte (weiter-)entwickeln

Das Kollegium von Probst & Consorten Marketing-Beratung hat eine systematische Übersicht über Tarifkonzepte zusammengestellt, die vor dem Hintergrund der Pandemie im deutschsprachigen Raum (weiter-)entwickelt wurden, um dem veränderten Verkehrsverhalten gerecht zu werden und trotz der gestiegenen Ansprüche an Flexibilität die Kundenbindung zu erneuern. Viele der Tarifkonzepte sind durchaus älter als die Corona-Pandemie, gewinnen aber unter den gegebenen Rahmenbedingungen an Relevanz. Die gesammelten Erfahrungen ermuntern zu einer innovativen, mutigeren Tarifgestaltung. Deren konkrete Ausgestaltung – dies zeigen die zahlreichen Fallbeispiele – sollte auf die lokalen Besonderheiten zugeschnitten sein. Insofern eignen sich sowohl gänzlich neuartige, digitale Tarifmodelle als auch die sanfte Neuausrichtung altbekannter kommerzieller Ansätze – insbesondere mit dem Fokus auf attraktive Flatrates für möglichst viele Zielgruppen. Wichtig sind positive Botschaften, die zeigen, dass die ÖPNV-Branche anpassungsfähig ist und Nutzungsimpulse setzt. Diese Auswertung wurde zu Beginn des Jahres 2022 abgeschlossen und konnte dementsprechend die Diskussion rund um das 9-Euro-Ticket noch nicht berücksichtigen.

Ausblick

Corona hat weiterhin großen Einfluss auf Mobilität und Verkehr. Viele Aktivitäten werden nun – vermehrt – von zu Hause aus erledigt (Homeoffice, Videokonferenzen, Streaming, Distanzhandel). Zwischenzeitlich hat der Nahraum erheblich an Bedeutung gewonnen. Der ÖPNV verlor Teile seiner Stammkundschaft und gilt als „Verlierer der Pandemie“. Wie sehr diese Entwicklungen die Pandemie überdauern werden, ist noch nicht genau abzuschätzen. Für die ÖPNV-Branche ist es aber unstrittig, hergebrachte Maßnahmen zur Kundenbindung und -gewinnung auf den Prüfstand zu stellen.

Grundsätzlich hat die Pandemie für den ÖPNV eine ganze Reihe ernsthafter Risiken geschaffen. Wichtig für seine weitere Entwicklung ist, die in dieser Zeit gewonnenen Erkenntnisse als Anlass für eine fahrgastorientierte Weiterentwicklung des ÖPNV-Angebotes zu nutzen. Nur so wird der ÖPNV seinen unverzichtbaren Beitrag zur Erreichung der bundesdeutschen Klimaziele leisten können.

Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist in einem Gutachten für das Umweltbundesamt zusammengestellt. Der Bericht kann hier abgerufen werden.