Selbstfahrende Fahrzeuge haben auch im ländlichen Raum ein hohes Potenzial
Im Zuge der Automatisierung und der zunehmenden Bedeutung des Sharings wird sich die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Verkehr weiter verwischen. Insbesondere im ländlichen Raum wird selbstfahrenden Fahrzeugen das Potenzial zugesprochen, den klassischen ÖPV weitgehend abzulösen. Dort kommen die Vorteile des klassischen ÖPV als raumsparendes Transportmittel mit sinkenden Kosten und hoher Qualität bei großer Nachfrage weniger zum Tragen. Diese These war Gegenstand eines Projektes, an dem KCW unter der Federführung der Hochschule Luzern (zusammen mit dem Beratungsbüro Infras) teilnahm.
Konkret wurde mittels einer detaillierten Fallstudie in einer ländlichen Schweizer Region untersucht, welche Weiterentwicklung des öffentlichen Verkehrs den höchsten Nutzen erzeugen kann. Als wirtschaftlich effizienteste Lösung erwies sich dabei eine Kombination von autonomen Kleinbussen mit dem heute existierenden S-Bahn-Angebot. Ausschlaggebend sind neben der ermittelten Höhe der Nachfrage und des Kostendeckungsgrades vor allem auch die dadurch vermeidbaren Platzprobleme an den Schnittstellen zwischen autonomen Kleinbussen und übergeordnetem Bahnnetz.
Untersuchung von vier verschiedenen Varianten
Das Projektteam hat für die Studie vier unterschiedliche Angebotskonzepte erarbeitet: zwei Konzepte mit bestehendem vollständig automatisierten Bus- und Bahnnetz, und zwei Konzepte mit komplett oder teilweise durch autonome Kleinbusse substituierten ÖPNV. Für die beiden letzteren Angebotskonzepte wurden außerhalb des Untersuchungsgebietes geeignete S-Bahnstationen bestimmt. Diese sogenannten Umsteigehubs sollen die Kleinbusse anfahren, um die Fahrgäste „von der Haustür“ auf das überregionale leistungsstarke Bahnnetz zu bringen. In allen vier Varianten wurde untersucht, wie sich die veränderte Angebotsqualität bezüglich Reisezeit, Takt sowie Umsteigevorgänge auf die Nachfrage auswirken würde und wie groß eine Flotte an selbstfahrenden Fahrzeuge dimensioniert sein müsste.
Die folgende Tabelle zeigt die jeweiligen Charakteristika der entwickelten Varianten:
Kostendeckungsgrad steigt dank Automatisierungseffekten
Bei allen vier Angebotskonzepten führen die mit der Automatisierung verbundenen Effekte zu einem höheren Kostendeckungsgrad. Dabei ist für den wirtschaftlichen Erfolg ein hoher Besetzungsgrad, eine lange Einsatzdauer der Fahrzeuge sowie eine niedrige Quote betriebsnotwendiger Leerfahrten wichtig. Die Kostenreduktion bei der vollständigen Automatisierung wirkt sich unterschiedlich aus. Beim Bus können damit rund die Hälfte aller Betriebskosten gespart werden, bei der Bahn nach Schätzung der SBB lediglich 15 Prozent. Dadurch gerät die Bahn überall da unter Druck, wo sie keine großen Mengen von Personen transportieren muss. Bei großer Nachfrage scheinen auch in Zukunft die heutigen Stärken des Öffentlichen Verkehrs – wenig Platzbedarf, hohe Effizienz, geringer Energieverbrauch usw. – wichtig zu bleiben, und zwar nicht nur in urbanen Gegenden, sondern zumindest in der Hauptverkehrszeit auch in ländlichen Regionen. Dies ist eine wichtige Erkenntnis angesichts der bisweilen etwas (technik-)euphorisch geführten Diskussionen rund um selbstfahrende Fahrzeuge. Zudem gilt anzumerken, dass die benötigten Initialisierungskosten für den Aufbau einer vollständig automatisierten Fahrzeugflotte heute noch weitestgehend unbekannt sind.
Neue Geschäftsmodelle, auch im ländlichen Raum
Noch ist offen, wer zukünftig eine Flotte mit selbstfahrenden Fahrzeugen im ländlichen Raum betreiben könnte. Die Untersuchung hat gezeigt, dass ein Geschäftsmodell durchaus auch im ländlichen Raum mit überschaubaren Betriebskosten betrieben werden könnte. Neben großen Automobilunternehmen oder bereits erfolgreichen Ridesharing-Anbieter, die sich heute vor allem auf die Zentren fokussieren, kommen dafür auch bestehende ÖV-Unternehmen infrage. Insbesondere die lokale Verankerung, die angesichts der intensiven Nutzung der Fahrzeuge wohl auch in Zukunft wichtig bleiben wird, spricht für sie. ÖV-Unternehmen verfügen bereits über starke bestehende Kundenbeziehungen und etablierte Vertriebsplattformen. Die Schlüsselkompetenz der dynamischen Disposition von Fahrgastwünschen wäre ein essenzieller Bestandteil für ein Unternehmen, das einen Fahrdienst mit selbstfahrenden Kleinbussen anbieten würde. Schlussendlich wird auch die öffentliche Hand durch mögliche regulatorische Eingriffe eine wichtige Rolle dabei spielen. Sie entscheidet, ob sie den Betrieb einer Flotte nur im Rahmen einer Konzession erlaubt, wie es heute im ÖV der Fall ist, oder ob der freie Markt darüber entscheiden soll, wie und wo diese Angebote erbracht werden.
Herausforderung fehlender Platz an den Umsteigepunkten
Eine Herausforderung ergibt sich an den Schnittstellen zwischen autonomen Fahrzeugen und dem Bahnnetz: Aufgrund einer hohen Menge an gleichzeitig eintreffenden Fahrzeugen können Platzprobleme entstehen und Umsteigevorgänge Mitten in der Kernstadt sind kaum möglich. Unbedingt sollen ÖV-Unternehmen und Kommunen in der Rolle des Bestellers aufkommende Herausforderungen und Chancen im Zuge der Automatisierung bereits heute in die Planung von Infrastrukturprojekten miteinbeziehen.
Viele Entwicklungen noch unbekannt
Der Umgang mit selbstfahrenden Fahrzeugen kann heute nicht zu Ende gedacht werden. Es ist zu begrüßen, dass Akteure des öffentlichen Verkehrs sich schon heute mit den Risiken und Chancen des autonomen und vernetzten Fahrens auseinandersetzen. Auch in Deutschland laufen aktuell diverse Feldtests mit autonomen Kleinbussen. Dabei sollte sich die Diskussion aber nicht nur darauf beschränken, was (technisch) machbar ist. Vielmehr sollte diskutiert werden, was ein möglicher Zielzustand sein sollte.
KCW verfolgt die spannenden Entwicklungen am Markt und unterstützt Kommunen und Verbände bei strategischen Überlegungen oder bei der Umsetzung von Feldtests vor Ort.